Der „Stumme Joseph“ in der Kirche

22. April 2021

von Kristin Holighaus


„Lord Extra“ im Automaten in der Kirche: Das gibt es in St. Joseph in der Maxvorstadt. Aber auch wenn es sich bei dem Automaten tatsächlich um einen ausgedienten Zigarettenspender aus Niederbayern handelt, so sind es keinesfalls Glimmstängel, die man sich im Kirchenraum ziehen kann. Sondern ganz modern: Spiritualität-To-Go.

Der Automat in der Ecke vorne links

Ein bisschen als Störenfried komme ich mir ja schon vor. Das Klack-Klack meiner 2-Euro-Münze beim Einwerfen in den Automaten ist im stillen Kirchenraum ganz schön laut! Das Rausziehen der Metallschublade- Ratsch- erst recht. Aber als ich aus dem Augenwinkel feststelle, dass der Herr in der Kirchenbank an der Seite nicht betet, sondern in einem Buch liest, entspanne ich mich dann doch etwas.
Seit zweieinhalb Jahren steht der „stumme Joseph“, wie ihn seine Erfinder nennen, in der katholischen Kirche am Josephsplatz. Joseph ist zwar stumm (wenn man mal von dem Klack-Klack-Ratsch absieht), soll aber hilfreich sein. Als ein niedrigschwelliges Seelsorge-Angebot ist es gedacht, so erzählt mir Felix Maier, der in Lübeck einen solchen Automaten als „Kunst-Format“ gesehen hatte und die Idee gleich adaptierte. Ganz clever eigentlich, wo in der heutigen Zeit die sofortige Bedürfnisbefriedigung fast zum Standard geworden ist. Warum also auf den Sonntags-Gottesdienst warten, wenn ich an den Automaten gehen kann?

zwei Euro

verschiedene Sorten

Erste Schachtel

Als erstes habe ich mich für ein „Geschenk für einen Freund“ entschieden. Heute nachmittag gehe ich mit einer Freundin spazieren, da habe ich dann ja gleich ein Mitbringsel. Neugierig öffne ich die Schachtel. Als erstes fällt mir ein 2-Euro-Stück entgegen. Huch, was soll das denn? Und dann schüttele ich einen Zettel heraus: „Dem Bedürftigen zu geben, heißt nicht schenken, sondern säen“ steht da großgeschrieben. Und dann, etwas kleiner: Ich bekomme mein Geld zurück, um es jemanden zu geben, der es nötig haben könnte. Das finde ich schon mal ziemlich cool.

Seelsorge mal anders

Über 400 solcher kleinen Gaben hat der „Stumme Joseph“ in den beiden vergangenen Jahren ausgespuckt. Was im Umkehrschluss heißt, dass Felix Meier und andere Mitglieder des Pfarrgemeinderats sich viel einfallen lassen müssen. Denn bislang hat es noch keine Dopplungen in den Inhalten gegeben. „Genießerle“, „Ein Wort vom Lord“, Fordere dich selbst“, „Weltveränderer“, „Lord Extra- ohne Filter“, „Würze des Lebens“, „Magische Momente“ und „St. Joseph- hier spielt die Rubrik“ sind die Spiritualitäts-Sorten, die man sich ziehen kann. Wichtig ist der Gruppe, deren ältestes Mitglied 80 und Felix Maier mit 34 Jahren der Jüngste ist, das es etwas zum Anfassen ist. „Keine Ermahnungen und kein Kitsch“ sagt Maier, aber jeder kann mit den Ideen einen eigenen Akzent setzen.

zwei Euro Münze

Schachtel und Wollfäden

Zweite Schachtel

Definitiv Zeit für meine zweite Sorte. Ich bin schon etwas enttäuscht, dass die Schachtel von außen genauso aussieht, obwohl ich diesmal doch die Sorte „Weltveränderer“ gewählt habe. (Später wird mir Felix Maier am Telefon erzählen, dass die Schachteln Maßanfertigungen sind, weil es nämlich unmöglich war, Schachteln im exakten Format von Zigarettenpackungen zu kaufen und der Automat wiederum nur mit der exakten Größe funktioniert. 1 Euro kostet eine Schachtel, finanziert von der Pfarrei aus dem Seelsorge-Etat). Heraus kommt eine mit chinesischen Schriftzeichen bedruckte Plastikmünze, vier bunte Fäden und wieder ein Zettel. „Ein Glücksgeschenk für Freunde“, so werde ich aufgeklärt. Jeder Faden stellt eine Stunde des Glücks dar, und wenn ich die Wollfäden mit der Münze verknüpfe und weiterschenke, schenke ich nach chinesischer Tradition Glücksstunden. Wie schön! Das scheint mir dann doch das bessere Mitbringsel für meine Freundin zu sein. Die Zwei-Euro-Münze stecke ich für meinen nächsten Weg ein, denn ich habe schon eine Idee, wer sie nötig haben kann…
 

 

 

Kristin Holighaus

Ich liebe es, durch die Stadt zu spazieren oder zu radeln. Ständig sehe ich Neues. Von meinen Entdeckungen erzähle ich gerne, und weil es gerade keine Stadtführungen gibt, tue ich es nun hier.