30. März 2021

von Regina Schmidt

„I geh' in'd Stodt“

sagen die MünchnerInnen, wenn sie sich zum Marienplatz aufmachen. Vor ihren Haustüren in Giesing, Schwabing oder Sendling ist eigentlich auch nichts anderes als Stadt, aber die Zeit, als dies noch Dörfer weit draußen waren, scheint noch immer tief zu sitzen. 

Ich möchte dich mitnehmen „in die Stadt“ und dabei den Blick auf große und kleine Details richten, die Münchens Geschichte und Geschichten erzählen.

Die Innenstadt im Lockdown übt auf mich einen eigenartigen Reiz aus: ungewohnt ruhig, sehr viel Platz und so gut wie kein Shopping, das hier normalerweise alles beherrschende Thema. Eine Gelegenheit, nur einmal zu schlendern, ohne Ziel und Zweck. Mit der Möglichkeit zur Muse, das zu entdecken, das immer da ist und doch im Alltag nur wenig Aufmerksamkeit bekommt. Eine Stadterkundung mit ungewöhnlicher Perspektive, die uns vielleicht bleibt, wenn die Pandemie hoffentlich bald der Vergangenheit angehört. 

Im Umkreis von nur sehr wenigen Metern kannst du ziemlich viel entdecken. Los geht´s am Stachus. Oder heißt es Karlsplatz? 

 

Stachusgeschichten

Wenn die Münchner einst zum Stachus spazierten, meinten sie damit das Wirtshaus des Eustachius Föderl an der Stelle des heutigen Kaufhofs.
München war zu dieser Zeit überschaubar. In einer guten Viertelstunde gelangte man vom Neuhauser Tor zum Isartor, vom Sendlinger Tor zum Schwabinger Tor und außerhalb der Mauern begann die Pampa. Die heutige Altstadt, das war einst ganz München!
Diese Welt geriet gründlich aus den Fugen, als 1777 Kurfürst Karl Theodor die Regentschaft in Bayern übernahm. Er veranlasste den Abriss der Stadtbefestigung, weg mit der Stadtmauer samt den eh´ nicht mehr wehrtauglichen Wallanlagen – München sollte das Mittelalter endgültig hinter sich lassen über seine engen Grenzen und Gassen hinauswachsen. 

Straßenschilder am Stachus
Foto: Regina Schmidt

 

Stachus 1962
Foto: Privatarchiv

 

Dieser gigantische Stadtumbau startete am Stachus. Das festungsähnliche Stadttor wurde zurechtgestutzt und mit verkehrstauglichen Durchbrüchen versehen, die kleinen Häuser am Stadtrand verschwanden und ein Rondell diente als Symbol für die Öffnung der Stadt. Schau mal auf die neobarocken Fassaden. Die Lieblingsleuchtreklame aus den 60ern (jetzt mit neuester LED-Technik) ist mittlerweile zum Wahrzeichen geworden, und ganz oben wimmelt es von Figuren und Vasen. 

Der neue Platz wurde nach dem Kurfürsten benannt. Da die Münchner wenig Sympathie für Karl Theodor hegten – zu viele Neuerungen und obendrein ein „Zuagroaster“ aus der Pfalz –  ignorierten sie den offiziellen Namen und blieben bei Stachus. Für die Einheimischen ist es bis heute dabei geblieben.
In den Wirtschaftswunderjahren avancierte der Karlsplatz zum verkehrsreichsten Platz Europas. An Orten mit Trubel und Durcheinander fällt mir immer der Spruch ein: „Do geht’s zua wia am Stachus".

Das Tor nach Westen
Das Stadttor, von dem es hinaus ging zum Dorf Neuhausen, büßte ebenfalls seinen Namen ein. Wann das war, kannst du mit etwas Entzifferungsgeschick an den Tortürmen ablesen. Auch das Münchner und das bayerische Wappen kannst du entdecken. 

 

Tafel am Neuhauser Tor
Foto: Regina Schmidt

 

Leg´mal einen Stopp im großen Torbogen ein. Das geht gerade gut, ohne dass man umgerannt wird! Vier Münchner Originale mit Legendenstatus schauen auf uns runter, drei Musikanten spielen auf und es wird an Herbert Jensen erinnert, an den Mann, der dem Stadtrat den Bau einer Fußgängerzone vorschlug. 

Eine Straße nur für Passanten
Unvorstellbar ist heute, was mir aus Kindheitstagen noch gut in Erinnerung ist: Autos, Busse und Trambahnen quälen sich in beiden Richtungen durch das Karlstor und auf den Gehsteigen schieben sich die Fußgänger durch Neuhauser und Kaufinger Straße – immer schon Münchens beliebteste Einkaufsmeile.
Die Situation änderte sich komplett, als wieder einmal eine (Um-)Bauwelle durch München rollte, ausgelöst vom Zuschlag zu den Olympischen Spielen. Sie brachte 1972 der Stadt ihre erste und größte Fußgängerzone und einen Tunnel für die S-Bahn. 

Der absolut neue Plan, mitten in der Stadt eine Straße nur Fußgängern zu überlassen, stieß vor allem in der Geschäftswelt auf großen Widerstand: Wo kommen wir denn hin, wenn wir nicht mehr überall mit dem Auto hinfahren können?
Gelandet sind wir in der Superlative: Die Münchner Fußgängerzone rangiert unter den weltweit Meistbesuchten - Rekordumsätze inklusive.
Aber: Die Pandemie-Zeit mit ihren fatalen Lockdowns schlägt womöglich ein weiteres Kapitel auf.

Brunnenbuberl

 

Das Skandal-Buberl

Das Brunnenbuberl ist schon in Sichtweite. Am Brunnenrand in aller Ruhe sitzend lässt sich darüber sinnieren, wie sich die Zeiten ändern, was zum Beispiel vor gut 100 Jahren noch die Gemüter gewaltig erhitzte: Darf man in aller Öffentlichkeit einen nackten Buben zeigen? Soll man ihm nicht lieber ein Hoserl stricken? Oder wenigstens ein Lorbeerblatt “drüberpappn”? Man hat es nicht getan! Der Faun spuckt immer noch ungeniert vergnügt auf den Buben, so wie diesen der 22jährige Künstler Mathias Gasteiger geschaffen hat. Und schau im nächsten Winter  mal an kalten Tagen vorbei: Weil dem Brunnen im Winter das Wasser nicht abgedreht wird, bieten die zu Eis erstarrten Wasserstrahlen noch einen weiteren Blickfang...

 

 

 

 

Ich unternehme mit Vergnügen Streifzüge durch die unterschiedlichen Viertel der Stadt – die Spurensuche mit den Augen ist mein Faible. Und so freut es mich, wenn bei meinen Stattreisen-Touren erstaunt die  Bemerkung fällt: „Jetzt bin ich schon so oft hier gegangen, aber das habe ich noch nie gesehen“.

 

Regina Schmidt Stattreisen Rundgangsleiterin