22. März 2021

Von Dr. Myriam Wagner-Heisig

Das Kind muss in die Schule gehen! Oder?

Wenn du einen Stadtrundgang mit uns machst, bekommst du Einblicke ins Leben der Münchner damals und heute. Und am Ende der Führung weißt du dann z.B., dass gerne Bier getrunken, Handel getrieben und Kirchen gebaut wurden. Aber wo waren denn eigentlich die kleinen Münchner*innen den ganzen Tag? Hast du dich das einmal gefragt?

 

Unterricht mit Schlumpffigur

Schulpflicht – ja oder nein?

Na, in der Schule, natürlich! Oder? Aber seit wann? Und wie kam es eigentlich zur Schulpflicht, die ja gerade in der Pandemie immer wieder in die Schlagzeilen kam?

Wir alle werden seit März 2020 daran erinnert, dass die Schule kein Selbstläufer ist – sondern etwas, was immer wieder an die sich verändernde Realität angepasst werden muss, und um was immer wieder gerungen werden muss. Und dass es letztlich politische Gründe gibt, die auch beim Thema Schule mitspielen. Aber fangen wir ganz von vorne an.

 

 

Wo sind sie denn, die Schulen?

Ohne Schulpflicht hing es oft vom Geldbeutel der Eltern ab, ob und wie viel Bildung die kleinen Münchner*innen erhielten. Aber nicht nur! Eine erste offizielle Schule wurde bei St. Peter eingerichtet, wahrscheinlich schon mit der Gründung der Peterspfarrei 1170. Das Gebäude gibt es nicht mehr, heute geht man dort vom Petersbergl hinunter zum Viktualienmarkt. 

Die Schüler waren arme Münchner Jungen ab 6-8 Jahren. Knaben aus durchschnittlichen Schichten oder Patrizier hatten meist eigene Lehrmeister. Die Schule kostete Geld, dafür gab es Stiftungen oder „Jobs“ in der Pfarrei: Z.B. als Ministranten, „Singschüler“ oder „Lichtschüler“ (die Opferkerzen entzünden und ewige Lampen am Brennen halten mussten). Es war aber auch keine Seltenheit, dass Schüler betteln mussten. Auch bei der Frauenkirche gab es eine Pfarrschule, wohl ab der Gründung der dortigen Pfarrei 1271.

Viele Jungen gingen aber stattdessen in eine (private) Winkelschule. Die waren von den Pfarrschulen nicht gern gesehen, lagen aber buchstäblich in jedem Winkel der Stadt, meist in Hinterhäusern.

Die oft „halbstudierten“ Lehrer dort betrieben daneben meist noch ein Handwerk. Sie sollten halt etwas musikalisch sein und den Katechismus kennen, das reichte. 1564 entstand dann eine Schulmeisterzunft und ab 1569 überprüften zwei Ratsmitglieder als „Schulherren“ zweimal im Jahr diese Schulen. Sie achteten aber vor allem auf die Rechtgläubigkeit der Lehrer – weniger auf die Qualität des Unterrichts.

 

Schule bei St Peter München
Blick auf die alte Petersschule vom Viktualienmarkt aus

Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Val_037_6.jpg?uselang=de, gemeinfrei
 

 

Mary Ward Maria Ward
Porträt von Maria Ward
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mary_Ward.jpg, gemeinfrei

 

Kleine Jungen kommen in die Schule, kleine Mädchen… nirgendwohin? 

Und die armen kleinen Mädchen, die mussten alle zuhause (und dumm!) bleiben? Durchaus nicht. Die Winkelschulen nahmen auch Mädchen auf. Spätestens im 16. Jahrhundert gab es so viele Schülerinnen, dass die Landesherrliche Schulordnung von 1548 sie ausdrücklich nennt. Und sie sollten auch gerne unterrichtet werden – aber halt lieber getrennt von den Jungen.

Die optimale Lösung für diese Forderung brachte erst eine junge Engländerin mit: Mary Ward hieß sie, sie gründete eine eigene Frauengemeinschaft zur Mädchenerziehung und wurde von Kurfürst Maximilian I. 1627 feierlich in München empfangen. Er überließ den Schwestern das Paradeiserhaus an der heutigen Weinstraße und stiftete für 10 Fräulein eine feste Einnahme von jährlich 2000 fl. Auch das Paradeiserhaus am heutigen Marienhof gibt es nicht mehr, es wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört – sie waren damals aber bereits nach Nymphenburg umgezogen.

 

Muttersprache und Unterrichtssprache

Es ist kein Wunder, dass bei den Englischen Fräulein auch „exotische“ Sprachen wie eben das Englische unterrichtet wurden – aber normal war das nicht. Normal war es zunächst nicht einmal, dass in der Schule Deutsch unterrichtet wurde. Nein, die einzig richtige Sprache für Bildung und Erziehung war das Lateinische. Und zwar von Anfang an! Ob das wohl immer so gut geklappt hat? Man darf es wohl bezweifeln. 

Erst im 17. Jahrhundert erschien dann ein Buch, das der gelehrten Unterrichtssprache auch die jeweilige Muttersprache an die Seite stellte: Der Orbis pictus von Johann Amos Comenius. Bis heute eine faszinierende Lektüre!

 

orbis pictus schule
Eine Seite des Orbis pictus, das das Alphabet mit kleinen Tierbildern verbindet

Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Orbis-pictus-003.jpg, gemeinfrei

 

 

orbis pictus schulraum
Darstellung eines Klassenzimmers im Buch „Orbis pictus“ von Comenius (beschnitten): Schüler sitzen dicht gedrängt auf Bänken

Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Orbis-pictus-024.jpg?uselang=de, gemeinfrei

 

König braucht gebildete Untertanen

Doch Orbis pictus hin oder her – die Zeit schritt voran, und mit ihr änderten sich die Anforderungen. 1803/04 wurde in Bayern schließlich dem Schul-Wildwuchs der Garaus gemacht. Die Elementar- oder Trivialschulen wurden eingeführt, und die Kinder erstmals systematisch nach Klassenstufen getrennt. Latein war nun nicht mehr gefragt. Die Schule wurde Aufgabe des Staates. Eine Unterrichtspflicht wurde schon ab 1802 erstmals nicht nur gefordert, sondern auch durchgesetzt: Es gab Strafen, wenn die Kinder die Schule nicht besuchten, und z.B. bei der Heirat oder der Aufnahme eines Handwerks wurde die Vorlage eines Abschlusszeugnisses gefordert. Der König brauchte eben gebildete Untertanen, damit Bayern vorankommen konnte!


 

 

 

 

Noch mehr Schule?

Wenn du gerne mehr über den Orbis Pictus wissen möchten – Wikipedia ist ein guter Einstieg, dort gibt es Links zu vielen digitalisierten Faksimie-Ausgaben:

https://de.wikipedia.org/wiki/Orbis_sensualium_pictus 

Hier kannst du dir eine kleine Schulführung im Video ansehen:

https://www.youtube.com/watch?v=qPYnaLeOC4g&ab_channel=StattreisenM%C3%BCnchene.V

Du siehst, die Schule ist ständig im Wandel! Was meinst du, was hast du noch erlebt, was sich die Schüler von heute gar nicht mehr vorstellen können? Schreib' es uns!

 

Stattreisentasche in Bücherregal

Ich bin Kunsthistorikerin, Tochter eines Lehrers und praktisch in einem Laden aufgewachsen, den man heute wohl „Dorfladen“ nennen würde. Diese Mischung erwies sich als extrem praktisch. Sie hat mich zwar nicht in ein renommiertes Museum geführt, dafür gehen zuhause aber weder der Zucker noch die Stattreisen-Programmhefte so schnell aus – und bei Stadtführungen geht es auch in großen Gruppen mit mir nicht drunter und drüber.

 Dr Myriam Wagner-Heisig